Pflegegrade – Wer bestimmt sie? Was beinhalten sie?
Wie beantragt man sie?
In Deutschland sind etwas mehr als vier Millionen Menschen pflegebedürftig. Das bedeutet, durch Krankheit oder Behinderung sind sie nicht in der Lage, ihren Alltag allein zu bewältigen und sich selbstständig um ihre Gesundheit zu kümmern. Entweder werden sie von Familienangehörigen oder Freunden betreut oder ausgebildete Fachkräfte eines mobilen Pflegedienstes oder einer Pflegeeinrichtung kümmern sich um sie.
Wer pflegebedürftig ist, bekommt einen Pflegegrad 1, 2, 3, 4 und 5 zugeteilt. Der Grad der Pflegebedürftigkeit wird vom Medizinischen Dienst (MD), der bis Juni 2021 unter dem Namen Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) firmierte, bestimmt. Mittels eines standardisierten Fragebogens, den der Mitarbeiter des MD‘s gemeinsam mit der pflegebedürftigen Person und dessen Partner/in bzw. Betreuungsperson ausfüllt, wird ein Gutachten erstellt. Der daraufhin festgelegte Pflegegrad bestimmt schließlich über die Höhe der Leistungen, die aus der Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden können.
1. Welche Pflegegrade gibt es
und wie werden sie ermittelt?
Pflegegrade – Wer bestimmt sie? Was beinhalten sie?
Es gibt fünf Pflegegrade, in die Pflegebedürftige entsprechend ihres Hilfebedarfs eingeordnet werden. Die Einstufung in einen Pflegegrad erfolgt über das sogenannte Neue Begutachtungsassessment (NBA), einen Fragebogen, der 2017 eingeführt wurde. Dabei werden sechs Bereiche in die Bewertung mit einbezogen und – je nach Zustand der begutachteten Person – bepunktet. Mit einem Gewicht von 40 Prozent fließt der Grad der Selbständigkeit der begutachteten Person als wichtigstes Kriterium in diese Evaluierung mit ein.
Auf folgenden sechs Modulen basiert die gesamte Bewertung:
- Mobilität (10%): Wie selbstständig kann sich der Begutachtete fortbewegen? Kann er aufrecht sitzen? Kann er Treppen steigen? Kann er sich allein festhalten?
- Kognitive und kommunikative Leistungen (7,5 %): Ist die begutachtete Person noch in der Lage, Personen oder Dinge zu erkennen? Kann sie sich an bestimmte Ereignisse erinnern? Beteiligt sie sich an Gesprächen?
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (7,5 %): Verhält sich die Person aggressiv ihrem Umfeld gegenüber? Weist sie andere Verhaltensauffälligkeiten auf?
- Selbstversorgung (40%): Kann die begutachtete Person noch selbst essen und trinken, sich selbst anziehen und ohne Hilfe den Toilettengang erledigen?
- Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20%): Kann die pflegebedürftige Person selbst Medikamente einnehmen, Verbände wechseln oder den Blutzucker messen?
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15%): Kann die Person ihren Tag selbstständig gestalten? Ist sie in der Lage, mit anderen Menschen zu interagieren? In jeder dieser sechs Kategorien vergibt der Gutachter des Medizinischen Dienstes Punkte. Die Gesamtzahl der erreichten Punkte bestimmt schließlich über den erteilten Pflegegrad
Pflegegrad 1
Pflegegrad 1 wird als „geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ definiert und findet bei 12,5 bis unter 27 Punkten Anwendung. Die Voraussetzungen für Pflegegrad 1 sind dann erfüllt, wenn der Betroffene geistig und körperlich eigentlich noch fit und beweglich, aber in geringem Maße auf Unterstützung angewiesen ist.
Pflegegrad 2
Um eine Einstufung in Pflegegrad 2 zu erhalten, müssen Versicherte nachweislich „in ihrer Selbstständigkeit erheblich beeinträchtigt“ sein. Mit einem Gesamtpunktebereich zwischen 27 und weniger als 47,5 Punkten werden die Pflegebedürftigen in den Pflegegrad 2 eingeordnet.
Pflegegrad 3
Pflegegrad 3 wird als „schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ beschrieben. Um in Pflegegrad 3 eingestuft zu werden, müssen die Versicherten eine Gesamtpunktzahl zwischen 47,5 und weniger als 70 bei der Begutachtung durch den MD erhalten.
Pflegegrad 4
Um in Pflegegrad 4 eingeordnet zu werden, ist es notwendig, dass die Versicherten eine „schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ aufweisen. Mit einer Gesamtpunktzahl von mindestens 70 und maximal unter 90 erhalten die Versicherten Pflegegrad 4.
Pflegegrad 5
Pflegegrad 5 ist der höchste Pflegegrad und steht für die „schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung“. Erreicht ein Patient mehr als 90 Punkte im Bewertungssystem, wird er in Pflegegrad 5 eingestuft.
2. Was ist der Unterschied zwischen
Pflegegrad und Pflegestufe?
Bis Ende 2016 wurden pflegebedürftigen Menschen in drei Pflegestufen eingeordnet. Mit der Pflegereform 2017 wurden die drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzt, mit denen der Pflegebedarf nun deutlich individueller bestimmt werden kann.
Die früher geltenden Pflegestufen lassen sich wie folgt in Pflegegrade umrechnen:
- Pflegestufe 0 –> Pflegegrad 1
- Pflegestufe 1 –> Pflegegrad 2
- Pflegestufe 2 –> Pflegegrad 3
- Pflegestufe 3 –> Pflegegrad 4
- Pflegestufe 3 Härtefall –> Pflegegrad 5
Seit der Pflegereform und der Neueinteilung in Pflegegrade ist die Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person deutlich stärker in den Fokus der Begutachtung gerückt. Dadurch profitieren vor allem Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder einer Form der Demenz von der geänderten Definition der Pflegebedürftigkeit. Betroffene erhalten nun leichter einen Pflegegrad, als dies bei den Pflegestufen der Fall war.
3. Wie beantragt man einen
Pflegegrad?
Den Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung muss der Pflegebedürftige bei der für ihn zuständigen Pflegekasse stellen. Die zuständige Pflegekasse ist immer bei der Krankenversicherung organisiert, bei welcher der Betroffene versichert ist. Das gilt sowohl für alle gesetzlichen Krankenkassen als auch für alle privaten Krankenversicherungen. Der Antrag muss schriftlich bei der entsprechenden Pflegekasse bzw. Krankenkasse erfolgen. Jede Kasse hat entsprechende Antragformulare, die man entweder online ausdrucken oder bei Krankenkasse per Post zugeschickt bekommen kann.
Der Antrag muss vom Pflegebedürftigen selbst oder in dessen Namen gestellt werden, zum Beispiel von Familienangehörige, Nachbarinnen und Nachbarn oder gute Bekannte wenn sie dazu bevollmächtig wurden.
Die Leistung der Pflegekasse wird nicht rückwirkend erbracht, sondern frühestens vom Monat der Antragstellung an. Wird der Antrag am 30. April gestellt, läge der Leistungsbeginn auch im April.
Nachdem der Antrag eingegangen ist, beauftragt die zuständige Pflegekasse den Medizinischen Dienst mit der Begutachtung des Pflegebedürftigen. Dieser stellt den Grad des Pflegebedarfs fest und setzt entsprechend einen Pflegegrad an. Die Krankenkasse muss dieser Bewertung dann noch zustimmen und den Pflegesatz in entsprechender Höhe genehmigen.
WICHTIG: Sollten Sie Hilfe bei der Antragstellung benötigen oder Fragen rund um den Pflegegrad haben, laden wir Sie zu einer Pflegeberatung ein. Die Linimed Gruppe ist seit über 29 Jahren in der häuslichen Krankenpflege tätig und damit ein kompetenter und verlässlicher Partner und Berater bei allen Fragen rund um die Pflege.
4. Kann man die ambulante Pflege auch ohne Pflegegrad in Anspruch nehmen?
Selbst wenn man (noch) keinen Pflegegrad haben, besteht die Möglichkeit, von Linimed ambulant versorgt zu werden. Die erbrachten Leistungen werden der zu betreuenden Person zunächst in Rechnung gestellt. Sofern diese schon vor der ambulanten Versorgung einen Antrag auf einen Pflegegrad bei ihrer Versicherung gestellt hat, würde diese den bereits verauslagten Betrag rückwirkend erstatten.
Wenn Pflegekosten nicht aus eigenen finanziellen Mitteln beglichen werden können, gibt es die Möglichkeit bei dem Sozialamt die Pflegekosten im Rahmen der „Hilfe zur Pflege“ zu beantragen.
5. Was ist der Unterschied zwischen Pflegegeld und Pflegesachleistung?
Die Pflegekasse unterscheidet bei der Finanzierung der Pflege einer Person zwischen Pflegegeld und Pflegesachleistungen. Pflegesachleistungen umfasst die Beträge, die der Pflegedienst bzw. das Pflegeheim für die Versorgung eines Pflegebedürftigen erhält. Das Pflegegeld dagegen erhält der Pflegebedürftige direkt. Je höher der Pflegegrad ist, umso höher fallen diese Pflegesätze aus.
Ab dem Pflegegrad 2 zahlt die Pflegeversicherung ein Pflegegeld. Konkret versteht man darunter eine monatliche Sozialleistung für Pflegebedürftige, die sich daheim von Angehörigen, Bekannten oder Freunden versorgen lassen. Mit diesem „Pflegegeld für selbst beschaffte Hilfen“, wie es im Pflegeversicherungsgesetz heißt, kann man den Aufwand und den Einsatz von pflegenden Familienangehörigen, Bekannten oder Freunden für deren tägliche häusliche Pflegetätigkeit abgelten. Im Gegensatz zu den Pflegesachleistungen bekommt der Pflegebedürftige das Pflegegeld direkt überwiesen und kann selbst darüber bestimmen, an wen und in welcher Höhe er es auszahlt.
Überblick über die Höhe des Pflegegeldes je nach Pflegegrad:
Pflegegrad 1: kein Pflegegeld
Pflegegrad 2: 316 Euro/Monat
Pflegegrad 3: 545 Euro/Monat
Pflegegrad 4: 728 Euro/Monat
Pflegegrad 5: 901 Euro/Monat
Personen mit Pflegegrad 1 steht zwar weder ein Pflegegeld noch Pflegesachleistungen zu, sie können jedoch 125 Euro für sogenannte Betreuungs- und Ersatzleistungen bekommen. Der Betrag für die Betreuungs- und Ersatzleistungen wird nicht automatisch jeden Monat überwiesen, sondern nur wenn entsprechende Leistungen in Anspruch genommen wurden (z.B. durch einen Pflegedienst) und entsprechend eine Nachweis über die erbrachte Leistung bei der Kranken- bzw. Pflegekasse vorliegt.
Pflegebedürftige, die sowohl von Angehörigen als auch von einem professionellen Pflegedienst versorgt werden, können sowohl Pflegegeld (für die Versorgung durch pflegende Angehörige) als auch Pflegesachleistungen (zur Vergütung der Pflegedienst-Leistungen) beanspruchen. In diesem Fall erhalten sie das Pflegegeld nicht mehr in voller Höhe, sondern nur noch anteilig. Dies Kombination aus Pflegegeld und Sachleistungen nennt sich Kombinationsleistung. HINWEIS: Diese Kombination kann auch in Antragsformular angegeben werden.
Pflegebedürftige, die in stationären Pflegeeinrichtungen (Alten- oder Pflegeheime) von professionellen Pflegekräften versorgt und betreut werden, haben keinen Anspruch auf Pflegegeld. Bei ihnen übernimmt die Pflegekasse nur die Kosten der Heimunterbringung und – versorgung, also die Pflegesachleistungen.
6. Wem steht
ein Pflegegrad zu?
Auch wenn mehrheitlich Menschen im hohen Alter zur Gruppe der Pflegebedürftigen gehören, steht auch jüngeren Patienten, die von bestimmten Krankheiten betroffen sind, ein Pflegegrad zu. Bei folgenden Erkrankungen bzw. Patientengruppen ist – je nach Schwere der Einschränkung – eine Einstufung in einen Pflegegrad möglich.
- Diabetes
- Krebs
- Parkinson
- Multiple Sklerose
- ALS
- Epilepsie
- COPD
- Schlaganfall
- Dialysepatienten
- nach einer Amputation
- nach einem Oberschenkelhalsbruch
- psychische Erkrankungen
- geistige Behinderung
Welchen Pflegegrad man erhält, bestimmt allein der Medizinische Dienst. Ist man mit der Einstufung nicht einverstanden, kann man jedoch einen schriftlichen Widerspruch gegen den Bescheid einlegen und der Fall wird abermals geprüft.